Gerüst
Das Gerüst war immer ein Provisorium – eine Konstruktion, deren Herstellung wegen ihrer begrenzten Nutzungszeit und auch wegen des mangelnden Interesses der Baumeister an der Technik des Baubetriebs den Handwerkern überlassen blieb. Diese aber hatten weder die Bildung noch irgendeine Veranlassung, der Nachwelt Schriftliches zu hinterlassen. Sie verließen sich stets auf Gewohnheit und Erfahrung. Dabei setzten sie sich mit einem heute nicht mehr zu vertretenden Risiko über die völlige Unzulänglichkeit der damaligen Technik hinweg.
Nördlich des Alpenraums wurde mit Sicherheit reichlich von Holz Gebrauch gemacht, da der Bauherr das Bauholz zu stellen hatte – und Bauherren waren immer große Waldbesitzer. Für den Gerüstbau benötigte man aber vor allem geradwüchsiges Holz, dessen Beschaffung selbst im mehr oder weniger waldreichen Mittelalter Probleme bereiten konnte.
Das Errichten eines Baugerüsts hinterließ in der Mauer fast immer einige Spuren. Auf zeitgenössischen Abbildungen sind die unterschiedlichen Gerüstkonstruktionen dargestellt. Es ist jedenfalls sicher, dass die großen Baustellen des Mittelalters mit schweren Standgerüsten versehen waren. Auf ihnen mussten große Steine bewegt und versetzt werden. Aus Rüststangen wurden oftmals Rüstbäume, die auch die Lasten der Gewölbe trugen.
Das Bockgerüst, das Stangengerüst und das Auslegergerüst sind die drei klassischen Arbeitsgerüste, ihre Bauelemente: Stangen, Bretter und Seile.
1) Bockgerüst
Frei vor die Mauer werden vertikal vier Stangen (bzw. Böcke) zwischen 1,50 und 3 m Höhe gestellt, die von vier horizontalen Stangen mit Hanfseilen zusammengehalten werden. Darauf werden Bretter ausgelegt. Die Gerüstteile wurden im Mittelalter meist mit Seilen bzw. Stricken verbunden, da diese aufgrund ihrer Elastizität in der Lage waren, Kräfte besser zu übertragen als beispielsweise starre Nägel, die zudem relativ viel kosteten. Vom Gerüst aus wurde dann oft von innen gemauert.
2) Standgerüst / Stangengerüst
Etwa 1–1,5 m von der Mauer entfernt wird eine Reihe von Rüststangen bzw. Rüstbäumen aufgerichtet und so weit eingegraben und vereinzelt auch verkeilt oder untereinander diagonal verstrebt, dass sie fest stehen. In der gewünschten Arbeitshöhe (ca. 1,2–1,6 m) werden Streichstangen mit Stricken waagrecht an die Stangen gebunden, die zur Längsverbindung des Gerüsts und der Unterstützung der Netzriegel dienten. Die Gerüstbretter werden auf die Netzriegel gelegt. Ein guter Längsverband wird durch die diagonalen Streben gewährleistet. Bei den Stangengerüsten gibt es einen Querholm, auf dem die Laufbretter liegen. Der Querholm wird auf der Mauerwerkseite mit eingemauert. Wurde er nicht mehr gebraucht, wurde das Holz herausgezogen und das Loch vermauert oder das Holz einfach abgesägt. Je höher, desto abenteuerlicher wurden die Gerüstbauten.
3) Auslegergerüst (Krag- / fliegendes Gerüst)
Bei höheren Mauern wird die Arbeitsbühne aus Bohlen auf auskragende (hervorstehende) Balken gelegt, die in die Mauer eingespannt sind. Diese Gerüste sollen schon im alten Theben verwendet worden sein. Solche Auslegergerüste wurden für Maurer-, Fug- und Putzarbeiten benutzt. Sie waren vereinzelt mittels Bügen (Spreizen) von unten dreiecksförmig gegen die Mauer abgestützt. Für den unteren Aufsatz der Bügen konnten die Löcher der entfernten vorhergehenden Reihe der Ausleger oder die Ausleger selbst dienen. Die Bügen waren gerade oder auch leicht gebogen. Um 1200 sind es in jedem Fall runde Hölzer mit geringer Dimension. Sie stehen beidseitig über und werden in seltenen Fällen durch Schräghölzer abgestützt. Auslegergerüste mit oder ohne Bügen werden nördlich der Alpen seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts abgebildet und waren das ganze Mittelalter in Gebrauch. Die von den eingespannten Balken herrührenden Querriegellöcher sind ein Merkmal des Mauerwerks aller Perioden geworden.
Die Auslegergerüste wurden während des Baufortschritts mit aufgeführt, wahrscheinlich immer nur teilweise aufgebohlt und beim Verputzen des fertiggestellten Baus von oben nach unten wieder abgebaut, wobei man die Auslegerhölzer vor der Wand abschnitt. Übrig blieben die charakteristischen, in Reihen angeordneten Gerüstlöcher. Bei Bruchsteinbauten wurden sie gerne über den Holzresten in der Mauer mit einer dünnen Putzschicht überdeckt. Balkenlöcher hinterließen aber auch die Netzriegel. Eine zusätzliche Verankerung durch Steher im Boden wurde nicht verwendet, jedoch können zur Erhöhung der Stabilität vertikale Verstrebungen angebracht werden. Die Gerüste waren über Leitern oder Laufschrägen miteinander verbunden und zugänglich.



